Guten Tag! Gestatten: Ribonukleinsäure. Aber sagen Sie ruhig RNA zu mir. Alle, die mich näher kennen, nennen mich so. Das Akronym RNA stammt aus dem Englischen und steht für ribonucleic acid. Ich bin ein fadenförmiges Molekül und bestehe aus den Nukleinbasen Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil und einer Zucker-Phosphat- Verbindung. Mich gibt es hunderttausendfach in den Zellen, aus denen Ihr Körper besteht. Und mit Verlaub: Ohne mich läuft bei Ihnen gar nichts. Sie brauchen mich, damit Ihr Körper überhaupt Zellen bilden kann. Denn ich helfe dabei, dass die genetischen Informationen aus Ihrem Erbgut in Proteine und damit in neue Zellen übersetzt werden. Ich fungiere gewissermaßen wie eine Bauanleitung für Ihre körpereigenen Proteine. Und wenn ich so als Bauplan in Ihren Zellen unterwegs bin, nennt man mich auch Boten-RNA. Oder im Englischen messenger RNA, kurz: mRNA. Ich kann jedoch auch andere Funktionen haben und heiße dann auch anders – aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.
„Ohne mich läuft bei Ihnen gar nichts.“
Bleiben wir also ruhig noch ein wenig bei mir als mRNA, denn so kennen mich inzwischen ja auch fast alle. Seit mehr als einem Jahr biete ich Ihnen meinen Dienst in Impfstoffen an. So kann ich Sie davor schützen, dass Sie bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 einen schweren Krankheitsverlauf erleiden. Man hat mich als Bauanleitung für ein bestimmtes Coronavirus-Molekül zum Impfstoff gemacht. Ein wirklich genialer Schachzug: Nachdem ich in Ihren Armmuskel injiziert werde, übernehmen Ihre Zellen. Sie produzieren anhand des gelieferten Bauplans das Spike-Protein von SARS-CoV-2. Und dieses charakteristische Eiweißmolekül wiederum erkennt Ihr Immunsystem als fremd. In der Folge rückt Ihre körpereigene Abwehr aus.
Bester Stürmer auf dem Feld
Im mRNA-Impfstoff sorge ich also dafür, dass Ihr Immunsystem trainiert wird. Damit es bei einem tatsächlichen Kontakt mit dem Virus sofort angreift wie der beste Stürmer auf dem Feld. Wenn ich als mRNA meine Botschaft überbracht habe, werde ich nicht mehr benötigt. Ich bin ohnehin von Natur aus instabil und zerfalle schnell. Auch als Impfstoff bleibt von mir nichts mehr übrig. Sobald mein Bauplan abgelesen wurde, verschwinde ich wieder. Ihr Körper baut mich einfach ab.
© HIRI, Sandy Westermann (SCIGRAPHIX)
© HIRI, Sandy Westermann (SCIGRAPHIX)
© HIRI, Sandy Westermann (SCIGRAPHIX)
Tumorzellen verraten sich durch ihre Oberfläche
Fragile Moleküle wie mich zu erforschen, ist nicht einfach. Aber es lohnt sich, wie die neuen Corona-Vakzine zeigen. Dass Letztere überhaupt so zügig auf den Markt gekommen sind, beruht auf jahrzehntelanger Grundlagenforschung. Dabei geht es nicht nur um Infektionen und wie sich Menschen künftig gegen Pandemien wappnen können. Die Wissenschaft untersucht in unzähligen Studien auch, wie ich bei genetischen Erkrankungen oder etwa Krebs helfen kann. Die Proteine auf der Oberfläche von Tumorzellen beispielsweise unterscheiden sich von denen auf gesunden Zellen. Damit Ihre Immunabwehr diese als fremd erkennt und bekämpft, könnte ich sie in Zukunft über eine Impfung trainieren.
Antibiotikaresistenzen: Die nächste globale Bedrohung
In Bakterien spiele ich eine bedeutende Rolle bei der Frage, wie man den zunehmenden Antibiotikaresistenzen wirksam begegnen kann. Hier werde ich erforscht, denn ich bin ein möglicher Indikator dafür, warum Keime trotz medikamentöser Behandlung überleben. Bereits heute sterben weltweit circa eine Million Menschen pro Jahr an den Folgen einer Infektion durch multiresistente Erreger, weil ihnen herkömmliche Medikamente nicht mehr helfen. Im Jahr 2050 könnten es nach Schätzungen der Wissenschaft schon zehn Millionen Tote sein – wenn es nicht gelingt, neue Therapieansätze hervorzubringen.
Da ich ausgesprochen anpassungsfähig bin, sind in Zukunft noch viele klinische Einsatzgebiete denkbar. Sogar eine personalisierte Medizin, die Therapeutika auf Ihre individuellen Bedürfnisse anpasst, ist mit mir möglich. Und weil ich so großes Potenzial habe, gibt es in Würzburg eine Einrichtung, in der sich alles nur um mich dreht: das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI). Im Mai 2022 hat das HIRI seinen fünften Geburtstag gefeiert. Chapeau – und happy birthday!