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© HIRI, Mario Schmitt

„Wir sind Vorreiter“

Jörg Vogel ist Direktor des Würzburger Helmholtz-Instituts, privat liebt der Biochemiker das Reisen, zeitgenössische Literatur, Kanufahren auf dem Main und die Zeit mit seiner Familie. Ein Interview

Bayern oder Berlin?

Jörg Vogel: (Lacht) Frrrongen! – Sicher, ich habe zuvor in Berlin sowie in Jerusalem, London und Uppsala studiert und geforscht. Doch nach inzwischen mehr als zehn Jahren in Würzburg fühle ich mich hier heimisch. Und ich habe auch beruflich meine Heimat gefunden – immerhin konnte ich hier die weltweit erste Einrichtung gründen, die die RNA-Forschung mit der Infektionsbiologie vereint …

… das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung oder kurz: HIRI.

Genau. 2009 kam ich hierher, um die Leitung des Instituts für Molekulare Infektionsbio­logie an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) zu übernehmen. Würzburg ist ein star­ker Forschungsstandort, und gerade im me­dizinischen Bereich ergeben sich etwa mit dem Uniklinikum hervorragende Synergien. 2017 konnten wir dann nach einem harten Wettbewerbsverfahren das HIRI als einen Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der hiesigen Universität gründen. Wir wol­len innovative therapeutische Ansätze ent­wickeln, um Infektionskrankheiten besser diagnostizieren und behandeln zu können. Der Medizin-Campus Würzburg ist damit exzellent aufgestellt: Gemeinsam können wir von den Grundlagen der RNA-Forschung über den Kliniksektor bis zur medizinischen Anwendung das volle Spektrum komplemen­tärer Spitzenforschung abbilden.

Welchen Anteil hat das HIRI an der Erfor­schung des Pandemievirus SARS-CoV-2?

Unsere Wissenschaftler haben zu Beginn der Pandemie sofort begonnen, Infektionspro­zess und Krankheitsverlauf zu erforschen. Wir haben zu einem besseren Verständnis davon beigetragen, wie das Virus mit den menschli­chen Zellen interagiert und was mögliche The­rapieansätze sein könnten. Wichtig war und ist bei alledem, dass unser Institut national und international vernetzt mit anderen Ein­richtungen zusammenarbeitet. Nur so können für die medizinischen Herausforderungen un­serer Zeit Lösungen gefunden werden. Eben­falls zentral ist die Frage der Forschungsför­derung. Das HIRI wirbt erfolgreich Drittmittel ein, so auch zur weiteren Arbeit an SARS-CoV-2. Das ermöglicht es uns, auf höchstem Niveau zu forschen. Und unser Institutsneu­bau mit eigenen Laboren, der demnächst auf dem Medizin-Campus entsteht, wird dafür besonders wichtig sein: Wir haben einfach jetzt schon zu wenig Platz.

Prof. Dr. Jörg Vogel

Beruf: Biochemiker
Stationen: Cottbus, Berlin, London, Jerusalem, Uppsala, Würzburg
Lorbeeren: Leibniz-Preisträger. Einer der meistzitierten Wissenschaftler seines Gebiets
Lieblingsort in Würzburg: Valentino Café (sollte 24/7 aufhaben)
Wenn ich abschalten will: Verbringe ich Zeit mit meiner Familie. Ich reise auch gern, fahre Kanu auf dem Main oder lese gern Zeitgenössisches.
Darauf freue ich mich in 2022: Auf einen Sommer (weitgehend) ohne Sitzungen und Gremienarbeit

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Sie forschen auch im Zusammenhang mit Krebs. Was hat das mit Infektionen zu tun?

Es gibt verschiedene Erreger, die ursächlich für die Entstehung von Krebs sind. Andere unterstützen den Verlauf – wie etwa das Fusobakterium, mit dem sich mein Labor be­schäftigt. Fusobakterien gehören zur norma­len Mundflora des Menschen. Aber sie werden verstärkt auch auf Karzinomen in Darm oder Brust gefunden, wo sie das Krebswachstum fördern und die Behandlung erschweren. Wenn wir die molekularen Wechselwir­kungen zwischen Erreger und befal­lener Wirtszelle entschlüsseln – und wir sind auch technologisch Vorreiter, um das auf Ebene ein­zelner Zellen zu untersuchen – dann können wir passgenaue Therapeutika entwickeln.

Stichwort passgenau: Die Zukunft liegt in der Präzisi­ons- beziehungsweise per­sonalisierten Medizin.
Was verbirgt sich dahinter?

Die mRNA-Impfung gegen COVID-19 zeigt ganz deutlich, wie Wirkstoffe mit Ribonukleinsäuren, also RNA, sehr schnell entwickelt und spe­zifisch angepasst werden können. Diese Anpassungsfähigkeit wollen wir uns zunutze machen, um bei­spielsweise Krebs und seltene genetische Erkrankungen gezielt behandeln oder gar heilen zu können. Wir wollen Krankheiten aufspüren und ihnen entgegenwirken, be­vor sie symptomatisch werden.

Antibiotikaresistenzen sind eine weitere Herausforderung der Infektionsmedizin.
Hilft die RNA-Forschung auch hier?

Wir brauchen tatsächlich dringend neue Wirk­stoffklassen, weil herkömmliche Medikamen­te gegen multiresistente Keime oft nicht mehr helfen. Um zu verstehen, welche Schlupflö­cher die Erreger nutzen, untersuchen wir de­ren RNA. Und wir entwickeln neuartige, pro­grammierbare Antibiotika auf RNA-Basis.

Sie sagten, am HIRI seien Sie auch tech­nologisch Vorreiter:
Wie kann Infektions­forschung zu neuen Technologien führen?

Im vergangenen Jahr wurde am HIRI in Ko­operation mit der Universität beispielsweise LEOPARD entwickelt, eine neue Diagnostik­plattform. Die Technologie macht sich Er­kenntnisse aus der Erforschung bakteriel­ler Immunsysteme zunutze. Im Gegensatz zu herkömmlichen PCR-Tests ermöglicht es LEOPARD, dass Sie mit einer Probe nicht nur feststellen, ob Sie mit einem harmlosen Er­kältungsvirus oder SARS-CoV-2 infiziert sind, sondern Sie können auch sehen, um welche Virusvariante es sich handelt. Diese Tech­nologie wurde zum Patent angemeldet und soll jetzt zur Marktreife geführt werden. LEOPARD ist ein hervorragendes Beispiel für den Erfolg der sogenannten translationalen Forschung in Würzburg: von den Grundlagen direkt in die Anwendung.


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