Bayern oder Berlin?
Jörg Vogel: (Lacht) Frrrongen! – Sicher, ich habe zuvor in Berlin sowie in Jerusalem, London und Uppsala studiert und geforscht. Doch nach inzwischen mehr als zehn Jahren in Würzburg fühle ich mich hier heimisch. Und ich habe auch beruflich meine Heimat gefunden – immerhin konnte ich hier die weltweit erste Einrichtung gründen, die die RNA-Forschung mit der Infektionsbiologie vereint …
… das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung oder kurz: HIRI.
Genau. 2009 kam ich hierher, um die Leitung des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) zu übernehmen. Würzburg ist ein starker Forschungsstandort, und gerade im medizinischen Bereich ergeben sich etwa mit dem Uniklinikum hervorragende Synergien. 2017 konnten wir dann nach einem harten Wettbewerbsverfahren das HIRI als einen Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der hiesigen Universität gründen. Wir wollen innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um Infektionskrankheiten besser diagnostizieren und behandeln zu können. Der Medizin-Campus Würzburg ist damit exzellent aufgestellt: Gemeinsam können wir von den Grundlagen der RNA-Forschung über den Kliniksektor bis zur medizinischen Anwendung das volle Spektrum komplementärer Spitzenforschung abbilden.
Welchen Anteil hat das HIRI an der Erforschung des Pandemievirus SARS-CoV-2?
Unsere Wissenschaftler haben zu Beginn der Pandemie sofort begonnen, Infektionsprozess und Krankheitsverlauf zu erforschen. Wir haben zu einem besseren Verständnis davon beigetragen, wie das Virus mit den menschlichen Zellen interagiert und was mögliche Therapieansätze sein könnten. Wichtig war und ist bei alledem, dass unser Institut national und international vernetzt mit anderen Einrichtungen zusammenarbeitet. Nur so können für die medizinischen Herausforderungen unserer Zeit Lösungen gefunden werden. Ebenfalls zentral ist die Frage der Forschungsförderung. Das HIRI wirbt erfolgreich Drittmittel ein, so auch zur weiteren Arbeit an SARS-CoV-2. Das ermöglicht es uns, auf höchstem Niveau zu forschen. Und unser Institutsneubau mit eigenen Laboren, der demnächst auf dem Medizin-Campus entsteht, wird dafür besonders wichtig sein: Wir haben einfach jetzt schon zu wenig Platz.
Prof. Dr. Jörg Vogel
Beruf: Biochemiker
Stationen: Cottbus, Berlin, London, Jerusalem, Uppsala, Würzburg
Lorbeeren: Leibniz-Preisträger. Einer der meistzitierten Wissenschaftler seines Gebiets
Lieblingsort in Würzburg: Valentino Café (sollte 24/7 aufhaben)
Wenn ich abschalten will: Verbringe ich Zeit mit meiner Familie. Ich reise auch gern, fahre Kanu auf dem Main oder lese gern Zeitgenössisches.
Darauf freue ich mich in 2022: Auf einen Sommer (weitgehend) ohne Sitzungen und Gremienarbeit
Sie forschen auch im Zusammenhang mit Krebs. Was hat das mit Infektionen zu tun?
Es gibt verschiedene Erreger, die ursächlich für die Entstehung von Krebs sind. Andere unterstützen den Verlauf – wie etwa das Fusobakterium, mit dem sich mein Labor beschäftigt. Fusobakterien gehören zur normalen Mundflora des Menschen. Aber sie werden verstärkt auch auf Karzinomen in Darm oder Brust gefunden, wo sie das Krebswachstum fördern und die Behandlung erschweren. Wenn wir die molekularen Wechselwirkungen zwischen Erreger und befallener Wirtszelle entschlüsseln – und wir sind auch technologisch Vorreiter, um das auf Ebene einzelner Zellen zu untersuchen – dann können wir passgenaue Therapeutika entwickeln.
Stichwort passgenau: Die Zukunft liegt in der Präzisions- beziehungsweise personalisierten Medizin.
Was verbirgt sich dahinter?
Die mRNA-Impfung gegen COVID-19 zeigt ganz deutlich, wie Wirkstoffe mit Ribonukleinsäuren, also RNA, sehr schnell entwickelt und spezifisch angepasst werden können. Diese Anpassungsfähigkeit wollen wir uns zunutze machen, um beispielsweise Krebs und seltene genetische Erkrankungen gezielt behandeln oder gar heilen zu können. Wir wollen Krankheiten aufspüren und ihnen entgegenwirken, bevor sie symptomatisch werden.
Antibiotikaresistenzen sind eine weitere Herausforderung der Infektionsmedizin.
Hilft die RNA-Forschung auch hier?
Wir brauchen tatsächlich dringend neue Wirkstoffklassen, weil herkömmliche Medikamente gegen multiresistente Keime oft nicht mehr helfen. Um zu verstehen, welche Schlupflöcher die Erreger nutzen, untersuchen wir deren RNA. Und wir entwickeln neuartige, programmierbare Antibiotika auf RNA-Basis.
Sie sagten, am HIRI seien Sie auch technologisch Vorreiter:
Wie kann Infektionsforschung zu neuen Technologien führen?
Im vergangenen Jahr wurde am HIRI in Kooperation mit der Universität beispielsweise LEOPARD entwickelt, eine neue Diagnostikplattform. Die Technologie macht sich Erkenntnisse aus der Erforschung bakterieller Immunsysteme zunutze. Im Gegensatz zu herkömmlichen PCR-Tests ermöglicht es LEOPARD, dass Sie mit einer Probe nicht nur feststellen, ob Sie mit einem harmlosen Erkältungsvirus oder SARS-CoV-2 infiziert sind, sondern Sie können auch sehen, um welche Virusvariante es sich handelt. Diese Technologie wurde zum Patent angemeldet und soll jetzt zur Marktreife geführt werden. LEOPARD ist ein hervorragendes Beispiel für den Erfolg der sogenannten translationalen Forschung in Würzburg: von den Grundlagen direkt in die Anwendung.